Münsingen und das Wollwerk
Ich war schon am Freitag in Münsingen angekommen und durfte in einer schönen Ferienunterkunft in Apfelstetten übernachten. Der Ort liegt in einem ehemaligen Vulkankrater, die Kirche ist genau neben dem Vulkanschacht erbaut. Am Samstag den 5. September 2020 ging es dann um 11 Uhr los. Wir haben mit einer kurzen Vorstellungsrunde begonnen und obwohl jeder sehr zurückhaltend von den eigenen künstlerisch-handwerklichen Tätigkeiten erzählte, war mir schon klar, das muss hier ein Austausch-Wochenende geben, um uns gegenseitig inspirieren zu können, hier waren lauter Künstlerinnen versammelt! Langjährige Spinnerinnen, eine Handarbeitslehrerin, Textilkünstlerinnen, Pflanzenfärberinnen, Modemuseumsleiterinnen, Kräuterfachfrauen, eine Museumsleiterin für Urgeschichte, Leiterin eines philosophischen Verlages, und so weiter, leider konnte ich als Kursleiterin die Menschen gar nicht so gut kennen lernen, wie ich es gern getan hätte.
Das Wollwerk im Albgut-Gelände ist eine ehemalige Kaserne mit sehr schönen Gebäuden aus Ziegel, Vulkangestein und Holz. Die Gebäude eignen sich sehr gut für kreatives Handwerk und künstlerische Projekte und es sind schon einige interessante Werkstätten und regionale Läden dort zu sehen. Im Wollwerk stehen viele Geräte rund um die Wollverarbeitung und Kunstwerke rund um Wolle. Textiles findet man überall in der großen Werkstatt. Im Laden gibt es natürlich Wolle, gestricktes, gefilztes, Textilien und schöne Dinge zum kaufen.
Zu Beginn habe ich meine Brennnesselessenz herum gegeben, wer wollte konnte sich einsprühen. Der Duft erinnert an Natur und Erde und soll eine Verbindung zu ihr fördern. Wir begannen dann mit dem ernten der Stängel, in der Nähe gab es ein etwas verwahrlostes Gebäude, Brennnesseln waren dort üppig mit Samen behangen vorhanden. Ideal! Dort hat, wer wollte, sich ein Brennnesselblatt an die Stirn gedrückt, unser drittes Auge aktiviert. Aber auch ohne diese Behandlung wirkt die Brennnessel auf unser Bewusstsein, das Arbeiten mit ihr, die Anwesenheit, später der Tee aus den gesammelten Blättern. Wer sich unabsichtlich gestochen hatte, erfuhr auch, wie man mit Wegerich den Schmerz lindern kann. Eine Teilnehmerin sammelte noch weitere Kräuter, die es dort gab. Bei den Brennnesseln haben wir dann schon die erste Kordel gedreht, um unser Bündel zu transportieren. Jeder hat einige Stängel mitgenommen. In der Werkstatt gab es weitere Stängel von verschiedenen Monaten und unterschiedlich vorbereitet. Mir ging es darum, festzustellen, welche Stängel am besten geeignet sind. Das erkennt man nicht unbedingt auf Anhieb.
Nach der Mittagspause wurden die verschiedenen Fasern abgezogen. Mit den grünen, nun trockenen Fasern haben wir eine einfache Technik des Netz- oder Nadelbindens gelernt. Die Kordel wird immer weiter angesetzt, eine erst knifflige Angelegenheit, weil sich die Gehirnwindungen daran gewöhnen müssen, auch eine sehr meditative Arbeit, die vielen gut gefiel. Um die Fasern gut kennen zu lernen, haben wir sie auch abgekratzt, das sieht sehr schön aus und auch daraus kann man Fäden drehen. Charlotte hat sich eine Haarverlängerung aus den Brennnesseln gebunden, gute Idee!
Wir hatten viel Sonne und konnten gemütlich draußen sitzen. Zwischendrin konnte jeder die Ausstellung im Wollwerk anschauen, auch meine Bücher und alles, was ich aus meiner Brennnesselwerkstatt mitgebracht habe: Brennnesselessenz, Bier, Kombucha, Salbe, Essenz, Tinktur, Textilien usw. Auch gab es einige leckere mitgebrachte Sachen. Frischer Apfelkuchen, Brennnesselkuchen, Obst, Kekse, Kaffee und frischen Apfelsaft.
Am nächsten Tag ging es mit der Verarbeitung der Fasern weiter. Rubbeln und Kratzen. Zwischendrin haben wir noch Papier aus den kurzen Fasern geschöpft. Zum Mittagessen sind wir in ein schönes Restaurant auf dem Albgut-Areal gegangen. Dann ging es zum Endspurt. Der Tag war weniger warm und sonnig, sodass wir das Papier durch die Mangel geben mussten, damit es trocknete. Das Spinnen war für manche eine Herausforderung, doch jeder hat mehr oder weniger feine Fäden hinbekommen. Manche packten dafür ihre wunderschönen Spindeln aus. Wer keine hatte, konnte sich eine einfache Kreuzspindel zusammenstecken. Die Besucher des Wollwerk-Ladens schauten oft etwas verwundert, mit welcher Hingabe wir die Brennnesselstängel und Fäden bearbeiteten. Zwischendrin hab ich noch ein paar Räucherbuschen mit Brennnessel angezündet und es wurde noch Brennnesselsamensalz gemörsert. Bei der Abschlussrunde hat jede Teilnehmerin geschildert, was ihr gefiel oder was eventuell fehlte. Dort kam noch mal zur Geltung, was für eine schöne, entspannte Gruppe wir waren, die verschiedenen kreativen Menschen konnten auch von sich vieles einbringen und den Kurs bereichern, das freut mich immer sehr. Das von außen vielleicht leicht chaotisch-wilde meiner Seminare wurde als kreativ und passend zum Thema Brennnessel empfunden. Gerne hätte ich für jeden mehr Zeit gehabt, auch um jeden etwas besser kennen zu lernen, doch ist es mir wichtig viele Impulse zu geben, damit jeder etwas für sich entdecken kann und sich Zuhause weiter selbst auf die eigene Weise damit beschäftigen kann. Das Interesse an der Brennnessel ist auf jeden Fall geweckt und ich denke, jeder hat erkannt, was für eine wertvolle Pflanze sie ist. Eine Teilnehmerin meinte, ich sei wie die Brennnessel – welch schönes Kompliment! Ob jeder dass als Kompliment schätzen kann?
Danke an Nanna aus Stuttgart (nanna textiles) für die Vermittlung und Teilnehmer*innen Organisation. Danke auch an Christine und Martina vom Wollwerk als Veranstalterinnen für den schönen Ort und die Unterstützung vor Ort. Der nächste Termin für 2021 ist schon in Planung! Danke auch an Simone, Sybille und Angela für weitere Fotos, der Rückblick für die Teilnehmer*innen wird bald versendet.